Alara Şehitler wechselt von St. Johann zum FC Bayern

ALARA ŞEHITLER, amtierende U17 Fußball-Europameisterin und seit 2017 Schülerin am Studienkolleg St. Johann Blönried, die zum Schuljahr 2023/24 nach München wechselte, um dort als Profi beim FC Bayern München zu beginnen, hier im Interview in St. Johann Blönried [SJB], 05.07.2023.

SJB: Hi, Alara. Toll, dass ich die Gelegenheit habe, dich noch zu interviewen, bevor du jetzt gehst. Bist du schon aufgeregt?

Alara: Hello. Nein, Quatsch! [lacht] – Aufgeregt? Ja, klar. Ich hab jetzt noch drei Tage hier, dann habe ich die EM [UEFA U19w, Belgien, Vizeeuropameisterinnen] vor mir, dann zieh ich ja schon um. Ich kann’s noch gar nicht so richtig greifen, aber das kommt dann, wenn es so weit ist.

SJB: Wenn du umziehst, hast du dann ein eigenes Zimmer dort?

Alara: Ja, das ist wie eine Wohngemeinschaft, also eigentlich ein Haus, indem mehrere Athleten wohnen, also auch Schwimmer und so, und da hat jeder sein eigenes Zimmer mit Gemeinschaftsküche.

SJB: Und du wirst dann wahrscheinlich auch oft nach Hause kommen, wenn du Zeit hast.

Alara: So oft ich kann. Je nachdem, wie die Spiele sind; wenn ich mal ein Wochenende frei habe, fahr ich nach Hause, unter der Woche hab ich ja Schule.

SJB: Und weißt du schon, was da so auf dich zukommt in der Schule?

Alara: Ich mach da mein Fachabitur Wirtschaft; aber was genau, welche Fächer und so, weiß ich noch nicht. Wirtschaft auf jeden Fall.

SJB: Alara, seit wann weißt du eigentlich, dass du kicken willst?

Alara: Schon immer. [lacht] Ich hab ja schon im Verein mit vier Jahren angefangen und davor auch schon ohne Verein im Garten, mit meinem Bruder. Aber so richtig, dass ich Profi werden will … weiß ich gar nicht so genau. Anfangs war es einfach nur, weil es Spaß gemacht hat. Macht es ja auch immer noch. Aber irgendwann kam dann der Moment, wo ich das dann professionell machen wollte.

SJB: Und hat dann jemand gesagt, ja, das ist ein Weg für dich, das schaffst du, mach das ruhig?

Alara: Ich selber. [lacht]

SJB: Außer dir…?

Alara: Erstmals wurde ich mit 10 gesichtet, für die Bodensee-Auswahl damals noch. Von da ging es dann auch ziemlich schnell in die Württemberg-Auswahl und zum DFB. Da hat man dann auch mal gehört, dass es schon in diese Richtung gehen könnte.

SJB: Weil die einfach dein Talent gesehen haben, klar. Hat dir jemand gesagt, was deine Stärken im Einzelnen sind?

Alara: Hmm… Das Spielverständnis, der Torabschluss … auch Übersicht. Das waren, glaub ich, die Hauptpunkte.

SJB: Gibt es Dinge, wo du selber merkst, da musst du aufbauen, dich verbessern oder entwickeln?

Alara: Weiterentwickeln tut man sich ja immer, auch das, was man schon kann, versucht man ständig zu verbessern. Der nächste wichtigste Punkt ist das Athletische, das wird in München natürlich auch trainiert, das hatte ich bisher nicht. Fünfmal die Woche Training, das hatte ich in dem Ausmaß ja auch noch nicht. Es gibt ja auch verschiedene Arten von Training: Technik, Ausdauer und so weiter. Zweikämpfe selber weniger, eher dass man über die ganze Zeit in die Zweikämpfe gehen kann…

SJB: In die Zweikämpfe zu gehen scheust du dich eher nicht?

Alara: Nee, ich hab ja jetzt zwölf Jahre mit Jungen [im Verein] gespielt, ich glaube nicht, dass da noch wirklich viel Anderes kommt bei den Frauen.

SJB: Mit wem aus der jetzigen Nationalmannschaft würdest du denn gerne zusammen spielen oder worauf freust du dich am meisten?

Alara: Auf alle eigentlich. Ich spiel ja bald mit ein paar zusammen… zum Beispiel mit Klara Bühl. Da freue ich mich richtig drauf. Ich hab jetzt in der Nationalmannschaft [U19] gerade eine ähnliche Mitspielerin, die hat eine ähnliche Spielweise wie Klara, Franziska Kett heißt sie, mit der verstehe ich mich auf dem Platz und auch neben dem Platz richtig gut. Ich glaub mit Klara Bühl wäre das dann auch so die Richtung. Auch freue ich mich auf Lina Magull, die durfte ich ja auch schon kennenlernen im Training [im Probetraining bei Bayern München letztes Jahr im August], die war auch richtig sympathisch.

SJB: Erzähl mal, wie war das so?

Alara: Ich bin da in die Kabine gekommen, die erste Person der ich begegnet bin war glaube ich Lea Schüller, neben ihr saß ich dann auch in der Kabine, und dann hat man mich halt gefragt, wie es mir so geht und so und auch nachgefragt, wie’s bei mir im Verein läuft, halt einfach direkt so aufgenommen, mit mir geredet, mich mit einbezogen. Da gibt’s auch eine Engländerin, Georgia Stanway, die redet richtig British English. Es war total schwierig sie zu verstehen. Sie hat mich auf dem Trainingsplatz was gefragt und ich hab überhaupt nichts verstanden. Dann hab ich Lina gefragt was sie sagte und die meinte, ja, wir verstehen sie auch oft nicht, mach dir nichts draus.

SJB: Aber die spielt nicht deine Position?

Alara: Doch. Vielleicht ein bisschen defensiver. Aber auch zentrales Mittelfeld.

SJB: Und wenn du im Mittelfeld spielst, wo stehst du eher, links, Zentrum, rechts…?

Alara: Also wir spielen ja meist zu dritt im Mittelfeld, eine defensiver, zwei weiter vorne, dann bin ich eher links, aber mir macht‘s auch nichts aus, rechts zu spielen. Ich bin linksfüßig, obwohl mein rechter Fuß auch nicht soo schlecht ist, aber mein linker ist besser.

SJB: Gibt es jemanden, von dem du sagen würdest, der ist ein Vorbild für dich?

Alara: Bei den Frauen? Also wenn man mich fragt, habe ich eher Männer vor mir. Florian Wirtz von Bayer Leverkusen z.B., der spielt auch meine Position, er ist, glaube ich, ein ähnlicher Spielertyp wie ich. Er ist technisch sehr gut, hat Übersicht und irgendwie immer eine Idee, egal was er macht. Ich bin auch eher der Typ, der den Vorwärtsdrang hat.

SJB: Du warst ja bisher in der Jungenmannschaft beim FV Ravensburg und da bist du Spielführerin geworden.

Alara: War ich in der U15, ja.

SJB: Wie kam das?

Alara: [lacht] Mein Trainer hat mir die Binde gegeben…

SJB: ...und gesagt: Hier mach du das mal?

Alara: Ja.

SJB: Und gab es da ein Thema unter den Jungs?

Alara: Vorne herum nicht. Aber was hintenrum passiert weiß man ja nie. Also dass der ein oder andere vielleicht gedacht hat: Muss das sein? oder: Wieso nicht ich? Das wird schon so gewesen sein, aber… das war mir da in dem Moment egal. Ich spiel mein Spiel, mit oder ohne Binde. Ist mir egal, ob ich Kapitän bin oder nicht. Das ist mir nicht wichtig.

SJB: Dein erster Trainer war…

Alara: Ich glaub der hieß Wolfgang - bei den Bambinis in Aulendorf.

SJB: …nicht dein Vater?

Alara: Mein persönlicher Trainer ja, nicht mein Vereinstrainer. Ich habe schon auch viel mit meinem Papa trainiert, auch jetzt die letzten Jahre, gerade in der Corona-Zeit sind wir sehr viel auf den Platz gegangen. Wenn ich jetzt Spiele habe, dann schau ich die danach nochmal mit ihm an und sprech mit ihm darüber, was ich da hätte besser machen können oder so. Es gibt auch manchmal Unstimmigkeiten [lacht], aber wir kriegen es meistens hin …

SJB: Sag mal ein Beispiel..

Alara: Oh je. Hm… ja, ein Beispiel aus der EM letztes Jahr: da hatten wir nen Konter, gegen Holland war das. Wir spielten richtig gut nach vorne und ich hatte auch umgeschalten und vorne wird mir der Pass in den Lauf gespielt, kurz vor dem Sechzehner. Ich hab den Ball mit in den Sechzehner genommen und wurde dann gefoult, aber es gab keinen Elfmeter. Und ich sag immer: War doch gut gemacht, hätte eigentlich Elfmeter geben müssen. Und er sagt, ich hätte auch mit dem ersten Kontakt abschließen können gegen die Laufrichtung des Torwarts, dann wäre es direkt ein Tor gewesen. Elfmeter gab es ja schlussendlich nicht, deswegen sagt er immer: Direkt schießen. Das hör ich auch öfter bei mir von den Trainern, dass ich einfach mal schießen soll. Ich versuche oft noch, den besser Stehenden oder die besser Stehende anzuspielen. Aber manchmal wär es einfach besser, wenn ich schießen würde.

SJB: Das sind aber Entscheidungen, die kann man sich nicht lange vorher überlegen…

Alara: Nee, das geht spontan. Ich mach immer das, was ich in dem Moment für besser empfinde. Manchmal ist es der Pass, manchmal der Schuss.

SJB: Du hast ja jetzt schon einige Trainer oder Trainerinnen erlebt. Was macht einen guten Trainer bzw. Trainerin für dich aus? Was magst du an denen besonders?

Alara: Das ist sicher typabhängig. Von mir selber würde ich sagen, für mich ist es besser, wenn er/sie nicht die ganze Zeit reinruft, was besser gemacht werden muss, sondern auch mal sagt: Ja, gute Entscheidung! Und ich mag es, wenn man mich auch mal selbst entscheiden lässt, was ich in manchen Situationen für richtig halte. Auch sollte nicht alles direkt kommentiert werden. Und auch nicht bei jeder guten Aktion gesagt werden: Super gemacht! Ich will schon auch die Kritik haben um mich zu verbessern. Eine gute Mischung einfach.

SJB: Hört man das denn überhaupt auf dem Feld was die sagen?

Alara: Ja. Bei uns schon. Ich weiß nicht, wie es dann ist, wenn wie bei den Männern ca. 80.000 im Stadion sind, aber bei uns hört man das schon noch. Es gab auch schon Spiele, bei denen dann Mitspielerinnen was anderes gerufen haben als die Trainerin und die Co-Trainerin dann nochmal was anderes. Wenn alle was anderes schreien, kommt man auf dem Platz auch nicht mehr so klar. Das ist ganz schön anstrengend. Dann muss man dann einfach abschalten und selbst entscheiden.

SJB: Wie bereitest du dich auf ein Match vor? Hast du da ne bestimmte Routine?

Alara: Nee, das hab ich nicht. Es gibt ja Menschen, die irgendwelche Rituale haben, von wegen: erst linken Schuh anziehen oder so. So bin ich nicht. Ich war schon mal kurz davor mir was zu überlegen, aber dann dachte ich mir, es ist eigentlich Schwachsinn (für mich!). Wenn ich es dann einmal anders mach, dann spiel ich schlecht. Darauf hab ich keine Lust, deswegen … Ich hör immer Musik, aber auch nicht immer die selbe Musik, einfach das was läuft.

SJB: Wenn du nun Profi bist, musst du dann bestimmte Dinge anders machen, oder darfst du bestimmte Dinge nicht mehr machen, die du bisher durftest?

Alara: Keine Ahnung, Alkohol hab ich eh noch nie getrunken, da muss ich mich nicht umstellen. Auf die Ernährung wird vom Verein geachtet. Aber ich selber bin jetzt auch nicht so, dass ich etwas ess, was mir schadet. Ich weiß ja selber, was mir gut tut und was nicht.

SJB: Gibt es Dinge außerhalb des Sportes, die du gerne machen würdest, die du jetzt nicht mehr machen kannst, Hobbys vielleicht?

Alara: Nee. Ich mach jetzt auch nicht viel nebenher. Wenn ich mal Zeit hab, treffe ich mich mit Freunden. Aber andere Hobbys habe ich jetzt so nicht.

SJB: Und was machst du, wenn du mal nicht spielen kannst, weil du verletzt bist zum Beispiel oder weil sie dich nicht aufstellen?

Alara: [lacht] Das seh ich dann. Nein, keine Ahnung. Wenn ich verletzt bin, würde ich wahrscheinlich öfter heimfahren. Im Verein habe ich ja dann auch Rehamaßnamen. Außerdem habe ich meine Freunde und werde neue Leute kennenlernen, mit denen ich dann was unternehmen kann.

SJB: Wenn du jetzt länger weg bist, hast du da schon mal erlebt, dass du Heimweh hattest?

Alara: Heimweh direkt nicht. Klar vermiss ich meine Familie, wenn ich weg bin, wobei ich aber sagen muss, meine Eltern sind, wenn es geht, bei jedem Turnier dabei. Sie können sich die Zeiten im Geschäft gut einteilen und arbeiten davor und danach etwas mehr. Mein Bruder versucht jetzt bei der EM in Belgien auch zu einem Spiel zu kommen. Also eigentlich sind sie bisher, außer bei normalen Lehrgängen, immer vor Ort dabei.

SJB: Gab es eigentlich schon mal einen Moment einer bitteren Enttäuschung?

Alara: Ja, unser Halbfinale bei der WM [FIFA U17, 2022]. Da haben wir gegen Spanien verloren aufgrund eines nicht gegebenen Tores, das nicht zählte, weil es angeblich Abseits war. Wir mussten dann ins Spiel um Platz 3 gegen Nigeria und haben dort im 11er-Schießen verloren. Das Enttäuschende war dabei, dass uns im Nachhinein gesagt wurde, dass es gar kein Abseits war, vielleicht sogar eine Fehlentscheidung. Da denkt man sich dann: Ja, cool, bei einer Weltmeisterschaft so eine Entscheidung, wegen der wir dann verloren haben, das war schon ein bisschen enttäuschend.

SJB: Und teilst du das dann mit den anderen oder machst du das mit dir selber aus?

Alara: Klar mit den anderen: Am Anfang sind dann alle in der Kabine so: Was soll das jetzt? Musste das sein? Man regt sich erst mal voll auf. Aber am nächsten Tag muss man dann halt wieder… Was willst du ändern? Es ist dann halt so. Kannst nichts machen.

SJB: Und worauf freust du dich am meisten, wenn du jetzt nach vorne guckst?

Alara: Auf alles. Auf die neue Herausforderung, auf neue Mitspieler, neue Gegner. Ich freu mich einfach nur.

SJB: Hier wird ja nun große Trauer herrschen, wenn du für immer weg gehst… kommst du denn nochmal wieder?

Alara: Bestimmt.

SJB: Zum Schulfest vielleicht?

Alara: Wann ist das nochmal genau?

SJB: Am letzten Sonntag im Juli.

Alara: Da bin ich, also für uns hoffentlich, noch weg, denn sonst sind wir rausgeflogen in der

Gruppenphase der EM …

SJB: Tja, dann hoffen wir mal mit dir. Vielen, vielen Dank, Alara.

Alara: Dankeschön.

[Fragen: Andreas Beuster, Studienkolleg St. Johann Blönried]

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