Berlinexkursion der Deutsch-LKs
Impressionistische Texte des Deutsch-LKs nach der Berlinstudienfahrt vom 5.-8.1.25
Berlin
Die Stadt, in der jeder sein kann wie er will. Die Stadt, in der Vielfältigkeit wohl an erster Stelle steht. Nicht nur in Sachen Hautfarbe, Herkunft und Religion. Auch in Sachen Mode, Kunst, Sexualität und Geschlecht. Die Stadt, in der es scheint, als würde Akzeptanz nicht nur eine Pflicht, sondern viel mehr der Schlüssel für alles sein. Sie klingt nach überteuertem Sonntagskaffee im Verkehrslärm. Nach ratternden Koffern und dem Surren der Klimaanlage in dem verspäteten Zug. Es ist schön, wie bunt die Gestalten durch Kaufhäuser und Straßen gehen, taub vom Lärm und blind vom Licht. Wie interessant es ist, über die vermeintliche Geschichte, die wohl jeder mit sich trägt, zu philosophieren. Kunstgeist erfüllt die Menschen, egal wie jung, egal wie alt. Wir scheinen tatsächlich in der Moderne angekommen zu sein. Nicht nur die fragwürdigen Gemälde, die wir alle wohl genauso nachstellen könnten wie der Künstler, der damit mehrere Tausend Euro verdient. Auch das Denken, unsere Philosophie. So scheint es zumindest, wenn man die einst geteilte Stadt betritt. Geteilt, in Ost und West. Nur noch Ruinen sind von der Mauer übrig, die einst so vielen Menschen, so vielen Kindern das Leben kostete.
Damals, geteilt von den Alliierten, heute geteilt von uns selbst. Nicht in zwei Besatzungszonen. Haben wir denn nichts aus der Geschichte gelernt? Die Schwerelosigkeit, die ich empfinde, wenn ich die vielen Persönlichkeiten beobachte, die wohl endlich einen Ort, an dem sie sich entfalten können, gefunden haben, wird dann irgendwie mehr zu einer schweren Schwerelosigkeit. Asphaltmelancholie. Das trifft es gut. Schnee, Regen, Kälte. Ein eiserner Wind zieht zwischen den Bahnhöfen und Brücken hindurch. Den Blick gesenkt laufen wir durch die Gassen, sehen nur den grauen, dreckigen Asphalt, ekeln uns und wollen doch endlich zurück in das warme Hotel. Eine Qual, den langen Weg vom Restaurant hin zu diesem zu bestreiten. Doch ist jener graue, dreckige Asphalt, das einzige was manch Menschen in der Hauptstadt unseres Landes haben. Das tut weh. So weh, dass der Körper taub wird. Eiskalt. Nicht nur von der Kälte, auch von innen. Es tut weh, diese Menschen an einen heranzulassen. Wir ziehen gar ausnahmslos eine Mauer um uns, die uns abgrenzt vor den Menschen die kein Zuhause, keine Familie haben. Sowieso nur drogenabhängig, ekelhaft, unhygienisch, selbst schuld und kaputt. Kaputt in jeglicher Hinsicht, nicht unser Problem. Natürlich nicht. Die nächtlichen Schlägereien zwischen Polizeisirenen, die ständige Suche nach etwas Essbarem, etwas Wärmenden, um nicht vor Kälte zu sterben und auf der Suche nach dem nächsten Druck, um sich diesen Problemen zumindest für eine Weile zu entziehen. Um durch die Straßen wandern zu können, ohne zu wissen, wer bin ich, was mach ich, und um am nächsten Tag die Folgen der Handlungen auszubaden.
Gestank unter den Brücken, in den Gassen und Bahnhöfen, die zuhause so vieler Menschen sind. Hilflosigkeit. All das ist schließlich auch nicht unser Problem. Menschen, die auch mal Kinder mit Träumen waren. Menschen die nichts haben, inmitten von Diskussionen, ob man Röcke tatsächlich über Hosen trägt. Umgeben von 3,432 Millionen Menschen und doch allein. Die Stadt, in der jeder sein kann, wer er will. Doch wir vergessen die Menschen auf der anderen Seite der Mauer. Das lehrt sie uns, die Stadt. Berlin.
Nele Sigurdson (J2)
Inmitten der Farben von Berlin
Es gibt Menschen, die behaupten, dass sie Namen, Wochentagen oder auch Orten bestimmte Farben zuordnen. So ist zum Beispiel der Donnerstag gelb, während der Name Tom die Farbe Azurblau trägt. Berlin wäre bunt. Aber nicht so ein Malkasten, eine nach der anderen Farbe, geordnetes Bunt. Nein. Vielmehr eine buntbesprenkelte, formenvielfältige, ausdrucksstarke Leinwand, die den Betrachter eine Zeit lang zur Erkundung fesseln möchte und durch all ihre unterschiedlichsten Farbnuancen und Formen überwältigt.
So reicht Berlin von grell beleuchteten Werbebannern, die an Häuserfassaden und in Fußgängerzonen kleben, bis hin zum sandfarbenen Brandenburger Tor, welches sich besonders im Schein der Nachtbeleuchtung als Wahrzeichen der Hauptstadt gebührend erweist.
Wenn die Dämmerung überhandnimmt und Berlin in eine dunkelblaue Decke einhüllt, verwandelt sich die Stadt in ein Lichtermeer, dessen Ufer hinterm Horizont nur zu erahnen bleibt. Gar scheint es, als würde Berlin erst bei Sonnenuntergang erwachen.
An Regentagen verschwinden die Umrisse der Denkmäler hinter dem heftigen Blinzeln der Passanten. Doch der Eindruck der Farben lässt sich von ein paar Tropfen nicht wegwischen. Abgeblätterte Graffitis gaukeln kaugummigepflasterte Großstadtromantik vor, während zeitgleich moderne Glasbauten die glitzernde, geschäftige Seite Berlins aufzeigen. In wieder anderen Stadtteilen bestimmt tristloses Grau den Anstrich der Bauten, an deren Fassaden noch die Biografie der Vergangenheit zu haften scheint.
Inmitten all dieser Formen und Farben finden Begegnungen statt.
Hunderte von Begegnungen eines jeden täglich, wobei deren Teilnehmer die andere Partei kaum wahrnehmen, nur selten Augenkontakt aufbauen.
Hundert eigene Leben, Ziele und Sorgen, die an der roten Ampel alle gemeinsam Halt machen, Arm an Arm und doch so fremd.
Aufzeichnungen von hunderten Gesichtsfragmenten, welche wie eine homogene Masse, Menschenmasse, hinter meinem Auge verblassen.
Und doch schafft es Berlin, als Farbtupfer im Andenken an die tolle Reise, so ganz und gar nicht oberflächlich, einen bunten Abdruck zu hinterlassen.
Lilly Sibbor (J2)